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Verbreitete sexuelle Fantasien #1 - Die Entführung (m)

Disclaimer: Diese Reihe beschäftigt sich mit gängigen sexuellen Fantasien, die inhaltlich eher alternativen Konzepten von Sexualität zuzuschreiben sind. Es sind Fantasien, die nur selten offen (also in Freundeskreisen, der Gesellschaft allgemein oder auch in Partnerschaften) kommuniziert werden, weil Scham und kommunikative Hemmschwellen sehr präsent sind. Die Fantasien sind nach „männlich“ und „weiblich“ aufgeteilt - schlicht aus dem Grund, weil ich nur aus meiner persönlichen Erfahrung und dem fachlichen Austausch mit KollegInnen sprechen kann. In dieser Erfahrung gibt es Fantasien, die häufig von Männern und andere, die häufig von Frauen geäußert werden. Die Hintergründe und eventuellen (unbewussten) Mechanismen, die ich hier schildere, basieren auf meiner persönlichen Erfahrung und der ausführlichen Rücksprache mit vielen dieser Menschen. Ich kann und möchte nicht belegen, dass die hier geschilderten Erklärungen auf alle Fantasien bzw. alle Menschen hinter den Fantasien zutreffen. Sie können aber ein möglicher Erklärungsansatz sein. Wer sich mit den Titelbegriffen der jeweiligen hier vorgestellten Fantasie bereits schwertut, darf diesen Disclaimer als Triggerwarnung verstehen: Die Fantasien selbst sind zu Beginn des Beitrags kursiv gedruckt und können detaillierte Schilderungen von Gewalt beinhalten.


 


Die Entführung


"Ich gehe allein spazieren und werde plötzlich überfallen. Es sind zwei oder drei Frauen, die mich aus dem Nichts überwältigen, mich entführen und mich dann einen Tag lang bei sich zu Hause einsperren. Sie vergehen sich an mir, benutzen mich, demütigen mich, penetrieren mich und toben sich rücksichtslos an mir aus."


Was ist der Kern der Fantasie?

Gewalt- und Entführungsfantasien sind verbreiteter als man gemeinhin denkt - und das nicht nur bei Frauen. Viele Männer erregt die Vorstellung, ausgeliefert zu sein, missbraucht zu werden und hilflos einer oder mehreren Frauen gegenüber zu stehen. Innerhalb dieses Fantasiebereichs ist die Entführung ein Klassiker.

Was dahinter steckt, ist wie immer nicht pauschal zu beantworten, aber in der Regel gibt es zumindest eine Tendenz: Die männliche Erregung basiert häufig auf dem Gefühl bzw. der Idee "sexuell gebraucht" zu werden. Das bedeutet konkret, dass viele Männer dann sexuelle Erregung empfinden, wenn die Partnerin sexuelle Erregung empfindet - und sie als Mann der Auslöser dafür sind. Man muss nicht in die Tiefen der Psychologie einsteigen, um Klischee-Sätze wie "du willst es doch auch" zu analysieren: Am Ende geht es sogar für viele übergriffige Männer darum, ihre Handlungen am Ende damit rechtfertigen zu können, dass sie es "auch wollte", dass es ihr eben "auch gefallen hat".

Aber auch in unserer alltäglichen Sexualität begegnen uns immer wieder Indizien, die dieses Muster belegen: Der Mann, der das "she comes first" verinnerlicht hat. Der Mann, den es erregt, wenn sie stöhnt. Der Mann, der nur dann kommen kann, wenn sie vorher schon einen Orgasmus hatte. Der Mann, der sich wünscht, sie würde den Ton angeben und sich einfach nehmen, was sie möchte. Die Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel - aber Männer, deren sexuelle Erregung darauf basiert, ihre Partnerin befriedigen zu können, sind keine Seltenheit. Bei manchen ist es ein durchschnittlicher Reaktionsfetischismus (also die Erregung durch die Erregung des anderen), oder ein partnerschaftliches Bedürfnis danach, das Gegenüber zu verwöhnen. Bei vielen geht dieses Bedürfnis aber einen Schritt weiter und bewegt sich dann in einem Bereich, bei dem die Basis seiner sexuellen Erregung ihre Lust ist, die durch ihn ausgelöst wird. Nicht umsonst gibt es Männer, die ungern Toys in die Paarsexualität miteinbeziehen oder nicht angetan von Vibratoren sind: Sie mögen die Vorstellung nicht, für die weibliche Lust überflüssig zu sein. Bevor nun Unklarheiten aufkommen, möchte ich betonen, dass diese Eigenschaften, diese Mechanismen nichts Schlechtes sind und nicht zwingend einen Nachteil für die eigene oder die Paarsexualität bedeuten müssen! Die meisten Männer mit dem überdurchschnittlichen Bedürfnis, sexuell gebraucht zu werden, würden das niemals als Forderung stellen oder es zu einem großen Thema machen. Ihnen ist bewusst, dass es nicht der Realität entspricht und sie sind uneingeschränkt in der Lage, ihren Partnerinnen und Frauen im Allgemeinen eine eigene, unabhängige Lust zu gönnen. Das steht allerdings nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass ihre sexuellen Fantasien auf diesem Mechanismus beruhen. Und wir erinnern uns an dieser Stelle daran, dass die Gedanken frei sind.


Was hat es also konkret mit der Fantasie der Entführung auf sich? Nun, die Entführung als sexuelle Fantasie ist ein Beispiel für erotische Intelligenz: Das Unterbewusstsein hat das Konzept "für ihre Lust gebraucht werden" konsequent zu Ende gedacht. Nicht nur eine, sondern mehrere Frauen, die nicht nur irgendeinen, sondern konkreten diesen Mann für ihre sexuelle Lust so zwingend brauchen, dass sie ihn nicht strategisch klug oder mit herkömmlichen Mitteln verführen (das wäre die Fantasie des Dreiers mit Fokus auf der weiblichen Lust), sondern sogar die Grenze zur Strafbarkeit sowie die Grenze der Moral überschreiten, um sich ihren Wunsch zu erfüllen. Das Überschreiten der Grenze zur Strafbarkeit ist ein Beweis für die Risikobereitschaft der Frauen, was die Notwendigkeit untermalt. Die übergangene Moral ist ein Zeichen für die Skrupellosigkeit der Frauen, die wiederum verdeutlicht, dass die Abhängigkeit der weibliche Lust von diesem konkreten Mann sehr viel höher steht als jedes seiner Bedürfnisse. Dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen: Es ist etwas anderes, ob von übergriffigen Frauen oder übergriffigen Männern fantasiert wird. Einerseits gilt der Mann häufiger als potentieller Täter und als fähig zur Rücksichtslosigkeit, während andererseits die Frau mit Fürsorglichkeit, Mütterlichkeit und Rücksicht assoziiert wird. Überschreitet ein Mann diese Grenze, hat er (vereinfacht gesagt!) Rückschritte in seiner Entwicklung gemacht und wurde zum gewaltbereiten Jäger. Überschreitet jedoch eine Frau diese Grenze, wendet sie sich von ihrem Wesen ab, ihrer Urweiblichkeit bzw. von dem, was unser Unterbewusstsein häufig mit ihr assoziiert. Ihre Hemmschwelle ist höher als die des Mannes, ihr Beweggrund muss also stärker sein.

Es geht also nicht nur um eine, sondern gleich um mehrere Frauen, deren sexuelle Lust essentiell von diesem konkreten Mann abhängt. Wie groß diese Abhängigkeit ist, wird einerseits darin deutlich, dass sie höchste persönliche Risiken eingehen. Andererseits darin, dass sie ihren fürsorglichen mütterlichen Urinstinkt ignorieren und sogar übergriffig und gewaltbereit werden - so dringend ist ihre Lust auf ihn, so abhängig ist ihre sexuelle Befriedigung von seinem Körper, so sehr wird der Mann für die sexuelle Lust der Frau gebraucht.


Umsetzung und Ausleben: Möglichkeiten und Ansätze Die Entführung wird am Ende immer eine sexuelle Fantasie bleiben, weil zumindest der Aspekt des absoluten Kontrollverlusts, der Uneinvernehmlichkeit und der eigentlichen Entführung nicht in die Realität umgesetzt werden können und auch nicht umgesetzt werden wollen. Aber es gibt Alternativen, die durchaus infrage kommen. In der Paarsexualität lassen sich Rollenspiele einbringen, die mehr oder weniger ausgeprägt sein können. Es hängt davon ab, wie viel Erfahrung im BDSM beide haben und wie gut die Kommunikation ist. Für Anfänger eignet sich ein ausführliches Gespräch über Ideen, Wünsche und Tabus. Anschließend werden beispielsweise dem Mann die Augen verbunden, vielleicht wird er geknebelt und gefesselt. Die Frau könnte ein Face Sitting beginnen (sich also auf sein Gesicht setzen und sich oral befriedigen lassen) und das so lange sie möchte oder bis er ein Safe Word sagt. Das wäre ein Einstieg, den man beliebig erweitern kann. Wichtig ist hier, dass ein Safe Word ausgemacht und ein Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dem man sich bewegt. Auch wichtig ist es, Rücksicht darauf zu nehmen, dass hier viele Frauen Hemmungen haben: Während in der Entführungs-Fantasie die Lust der Frau derart von ihm abhängig ist, dass sie skrupellos wird, möchte die reale Frau ihm natürlich nicht schaden und wahrt Grenzen. Für die meisten Frauen ist es eher abturnend, etwas zu tun, was ihm vielleicht nicht gefällt. Spannend wird es dann, wenn die dominante Frau so viel Vertrauen darin hat, dass er sein Safe Word sagen würde, falls eine Grenze überschritten würde, dass sie sich (bis zu diesem Punkt) wirklich gehen lassen kann und das ohne große Rücksicht. Wenn sie dann bemerkt, wie sehr ihn wiederum genau das erregt, finden im Idealfall beide in ihren Flow.

Für Fortgeschrittene BDSMler eignet sich das Mieten eines Raumes, die Planung einer Langzeitsession oder die Erweiterung durch andere Praktiken bzw. die Einbeziehung einer zweiten dominanten Frau.


Eine Alternative für Männer in offenen Beziehungen oder ohne dominante Partnerin ist der Gang in ein Studio: Dominas kennen die Fantasie der Entführung für gewöhnlich sehr gut (sie ist verbreiteter als den meisten bewusst ist) und sind auf Anfragen gut vorbereitet. Es werden ausführliche Vorgespräche geführt, die Anzahl der beteiligen Frauen festgelegt und Safe Words und Grenzen ausgemacht. Ein Entführungsspiel ist hier am Ende tatsächlich ein ganzes Szenario, unter Umständen mit einem abgemacht Punkt auf einem Spazierweg, einer Überwältigung, einer Fahrt im Auto mit verbundenen Augen und einigen Stunden in einem „versteckten“ Keller, in dem die Fantasie wahr wird - aber in einem Rahmen, der zuvor abgesprochen wurde.

Als Hintergrund-Information ist es zum Beispiel spannend zu wissen, dass Dominas auf alle Kleinigkeiten achten. Wie zum Beispiel die Wichtigkeit, dass kein Unbeteiligter das Geschehen mitbekommt: Die Damen kennen dann Orte, die nicht besucht sind oder sprechen sich gegenseitig ab, um den Zugang zu bewachen, damit kein Unbeteiligter zufällig etwas sieht, das er falsch verstehen könnte. Ähnlich hält es sich bei der Fahrt im Auto: von außen würde es für Unbeteiligte zu realistisch aussehen, wenn ein Beifahrer verbundene Augen hat. Es werden also Utensilien und Hilfsmittel gebraucht, Absprachen getroffen, um es einerseits möglich realistisch zu machen, andererseits unter keinen Umständen Unbeteiligte miteinzubeziehen. Das ist übrigens auch bei der Suche nach einem Studio ein essentielles Indiz auf Seriosität. Wer darauf nicht achtet, keinen Wert auf Vorbereitung oder gar ausführliche Vorgespräche legt, den würde ich nicht für eine so intensive Erfahrung buchen. Wenn ein Studio das allerdings vernünftig und seriös macht, muss man(n) auch mit einem stolzen Preis rechnen.


Fazit

Alles in allem lässt sich festhalten, dass die Fantasie der Entführung des Mannes von mehreren Frauen, die sich zu ihrer eigenen Lust an ihm vergehen, verbreiteter ist, als den meisten bewusst ist. Sie basiert (u.U.) auf dem ins Absolute zu Ende gedachten Wunsch des Mannes, der sexuellen Lust der Frau nicht nur zur Verfügung zu stehen, sondern hierfür essentiell gebraucht zu werden. Umsetzen lässt sie sich zumindest bis zu einem gewissen Punkt: entweder im Privaten oder durch einen Studio-Besuch. Wichtig ist das Bewusstsein dafür, dass die Fantasie hier eben eine Fantasie ist und kein Wunsch, weil der Kern der Entführung das Fehlen der Einvernehmlichkeit ist und damit per se nichts, was man sich wünschen würde.



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